Michael Grandt – BELLETRISTIK: Als der Krieg ausbricht

Aktuelles Vorwort:

Was viele meiner Leser vielleicht nicht wissen, ich schreibe auch Kurzgeschichten und Romane. Deshalb habe ich mich entschlossen, auf meinem Blog hin und wieder eine Kostprobe zu geben.

Diese Kurzgeschichte habe ich 1991 – ganz im Eindruck des 1. Irak-Krieges – geschrieben. Erschreckend für mich ist zu lesen, wie AKTUELL das Geschehen von damals noch ist und wie man die Länder, die die USA mit ihrer aggressiven Kriegs-Politik angreifen, austauschbar sind. So ist diese Kurzgeschichte quasi ein Zeitdokument von damals, das ich 2008 ergänzt habe.

Alles was ich damals geschrieben habe ist auch noch heute 1:1 genau so. Wir haben nichts gelernt, nichts!!!!

Michael Grandt, 14. Juni 2016

 

Als der Krieg ausbricht

Persönliche Erinnerungen an den ersten Irak-Krieg (1991)

September 1990:
Als der Krieg ausbricht, liege ich in meinem Bett und starre durch das Dachfenster in die schwarze, mondlose Nacht hinaus. Ich kann nicht schlafen, wälze mich stattdessen unruhig hin und her.
Sie haben uns viel über die möglichen Folgen des Krieges erzählt. Oh ja, er würde schrecklich werden. Wenn Hussein seine Ölfelder anbrennen sollte, würden Millionen Tonnen Kohlendioxyd verbrannt und die daraus entstehenden Rauchwolken die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf die Erdoberfläche verhindern. Nur zwanzig Prozent des lebensspendenden Sonnenlichts würden noch zu uns durchdringen. Saurer Regen und eine Klimaveränderung wären die fatalen Folgen.

Als der Krieg ausbricht, sind viele froh, dort drüben in den USA, dort in den Chefsesseln der Rüstungs- und Ölindustrie. Das lange Warten hat sie schon unruhig gemacht. Endlich wird ihre Profitgier befriedigt werden und zwar unter dem Deckmantel eines „gerechten Krieges“.

Als der Krieg ausbricht, weinen in Bagdad Frauen und Kinder. 2500 Flugzeuge werfen in der ersten Nacht 18000 Tonnen Bomben auf sie, 21mal so viel wie auf Dresden im gesamten Zweiten Weltkrieg.
Was denken die Menschen in ihren Häusern, was fühlen sie, als um Ein Uhr die Luftschutzsirenen heulen und sie brutal aus dem Schlaf reißen?
Aus jenem Schlaf, den ich nicht finden kann? Dort drüben, so weit weg von mir, so weit weg von meinem Bett, gibt es keine Bunker, nicht einmal einfache Gräben oder Unterstände, um dem Bombeninferno zu entgehen.

Als der Krieg ausbricht, werden im Irak noch Tausende von Kindern geboren. Geboren in einen Krieg hinein, den sie nicht gewollt haben.

Dieser Krieg kommt nicht durch die Hintertür, als hätte er Angst erkannt zu werden. Dieser Krieg ist angekündigt. Schon seit Monaten. Wir haben darauf gewartet, die Todes- und Profitgeilen haben ihm entgegengefiebert.
Und wie!
Wer hätte ihn denn verhindern können? Die armseligen Marionetten auf der Bühne der internationalen Scheinweltpolitik? Die UNO? Die EU? Die USA?
Blödsinn. Dieser Krieg will gar nicht verhindert werden. Nicht von denen, die ihn nicht wollen und sagen, er müsse sein und nicht von jenen, die ihn wollen und sagen, er müsse nicht sein.

„Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“, leeres Gefasel, eine Phrase der Linken, wie ein Rülpser eines total besoffenen Generals vor einer angekündigten Friedensdemo.
Schaut doch hin, Mütter, macht doch die Augen auf Väter, wie eure Söhne marschieren, wie sie gehorchen, wie sie töten.
Ja, wir hatten das schon einmal, erinnert ihr euch noch? „Nie wieder!“ habt ihr geschrien. „Nie wieder!“ Wie laut waren eure Schreie, ihr Lügner. Alles Lügen, die die Wahrheit, das Töten legalisieren sollen.
Fast alle werden wieder marschieren, aufgepeitscht von einer gnadenlosen Propaganda, so wie es immer war, so wie es immer sein wird. Und sie werden sogar noch stolz darauf sein, für eine gerechte Sache zu kämpfen, als hätte es jemals eine gerechte Sache gegeben, für die es sich zu kämpfen lohnte. So blind sind wir schon geworden. Stumpf und blöd gemacht von einer Medien-Konsum-Gesellschaft und wir glauben, glauben, glauben – ALLES.

Wir sind tatsächlich das blöde Volk, der dumme Pöbel, wie all die Jahrtausende zuvor. Von Politikern und Hochfinanz mundgerecht zubereitet, zum zerkauen. Stück für Stück schlucken sie uns hinunter und wir beklatschen und bejubeln sie noch dafür. So dumm sind wir, so dumm ist kein Tier, nur der Mensch, wir eben.

Es ist Krieg.
Natürlich nicht von uns gewollt und doch von uns begonnen. Wir sind angeblich die Kämpfer für eine „gerechte“ Sache und maßen uns an, die Klügeren zu sein.
Wir sind die Angreifer. Aber mit jenem Hitler, jenem Monster aus grauer Vorzeit wollen wir natürlich nichts zu tun haben. Gar nichts. Jede Ähnlichkeit verleugnen und verschweigen. Stattdessen setzt man sich – wie die political correctness es vorschreibt – schön für die Menschenrechte ein, obwohl täglich Hunderte von Kindern draufgehen – mit unserem Einverständnis, durch unsere Schuld.
Unsere Gerechtigkeit hat zweierlei Maß. Hatte sie schon immer, also, was solls?

Verkohlte, zerfressene, zerschundene Fratzen flimmern über unsere Bildschirme und das alles zur Prime-Time. Die Bilder stumpfen uns ab, denn wir sind schon zu verwöhnt von Ekelschockern und menschen-zerhackenden Monstern.
Wir, die Unschuldigen. Klar! Wir, die alles möglich machen. Wir, die Giftgasanlagen aufbauen und die Rüstung vorantreiben. Wir, das Volk. Wir sind das Volk. Wir sind es, die unsere Politiker wählen. Wir verzeihen ihnen so vieles. Viel zu viel.
Mensch-Ärgere-Dich-Nicht mit dem Tod und dem Leid Unschuldiger. Es ist die Erfolgschance, die Rendite, die hundert Prozent! „Kommen Sie, machen Sie doch mit! Höchste Gewinnschancen, der Einsatz ist nur Ihre Gewissen!“
Scoot- und Patriot-Raketen, AWACS-Aufklärungsflugzeuge, Tornados, Alpha-Jets und B52-Bomber sind uns gute Bekannte geworden. Wir gieren sensationslüstern auf die Nachrichten, sind todesgeil, während wir von belegten Brötchen beißen.

Live-Krieg live.
Wir lehnen in unseren Sesseln, fasziniert von dem Grauen, das über dem Bildschirm flattert. Als wären wir selbst dort unten, als hockten wir selbst schwitzend und fluchend in den Schützengräben oder Luftschutzbunker. Aber wir sitzen in der wohligen Sicherheit. Wir sitzen zufrieden grunzend in der ersten Reihe und glauben den ganzen Mist, dem man uns vorlügt.
Israel schockt seine Bevölkerung und die ganze Welt mit der Ankündigung, es werde ein Giftgasangriff des Irak erwartet. Eine Farce? Oder was soll das nun schon wieder heißen?
Scheinweltpolitik für die Dummen. Die Propaganda hat wieder Feindbilder erschaffen, gebildet aus der Unwissenheit, Borniertheit des Volkes, das zu dumm und zu faul ist, die wahren Hintergründe zu erkennen.

Amerika braucht seinen Sieg. Endlich, nach zwanzig Jahren Vietnam-Syndrom, wieder bejubelte Paraden in New York! Rauschgift für den Pöbel.
Kriege wird es immer geben, ich schwör’s euch.
Heute Bosnien, Kroatien und Somalia, morgen Libanon und Palästina. Wir können uns nicht raushalten. Keine Angst. Begeisterung ist angesagt und dunkel gekleidete Politiker mit einem Lächeln auf den Lippen, die uns glaubend machen wollen, Krieg sei etwas Notwendiges. Für eine gerechte Sache eben.
Aber töten ist töten, egal mit welcher Motivation.
Als der Krieg ausbricht, liege ich in meinem Bett und denke an die vielen unschuldigen Frauen und Kinder.

September 2008:
Achtzehn Jahre später soll bereits der Zweite Irak-Krieg zu Ende sein. Das sagen uns die Amis. Aber das stimmt nicht – wieder eine Lüge.
In Wirklichkeit kämpfen sie noch immer im Irak, haben objektiv keine Chance. Aber sie wollen und können das nicht einsehen und opfern weitere Menschenleben. Tag für Tag.
Sie haben den Krieg durch Lügen begonnen, das steht nun fest. Der amerikanische Außenminister hat mit Wissen des Präsidenten die ganze Welt vor der UNO angelogen, ohne Skrupel, nur um Krieg führen zu können. Das hat ihnen Ölquellen und einen Aufschwung in der Rüstungsindustrie gebracht – und viele Tote. Die sind aber vom weniger privilegierten Zweig der Bevölkerung: Farbige, Latinos, verarmte Weiße, also ist das wohl nicht so schlimm.
Aber die Amerikaner haben mit ihren Kriegen in Afghanistan und im Irak auch den Terror in die Welt gebracht. Sie sind es!
Amerika hat den Krieg gewollt, Bush hat ihn gewollt, die Rüstungsindustrie hat ihn gewollt. Tausende von amerikanischen Soldaten sind gestorben, aber Bushs Rüstungsfreunde haben Milliarden Gewinne gemacht.
Shareholder Value.
Wie viele Tote es im Irak wirklich gibt, ist nicht bekannt, oder wird verschwiegen. Es sind hauptsächlich Frauen, Kinder, Alte, die mit Streubomben und Napalm zerfetzt werden. Aber das stört niemanden.
Auch uns nicht. Wir haben nicht viel dagegen gehalten, genau so wie vor achtzehn Jahren! Nur Schröder, aber der ist weg und Merkel geht den Weg des amerikanischen Kriegspräsidenten mit, obwohl uns die Menschenrechte doch angeblich so heilig sind? Welch Heuchelei und Ironie!
Sie verblöden uns noch immer. Auch nach dem Zweiten Irak-Krieg, nach dem Krieg in Afghanistan, der nur Terror und Leid über die Welt brachte. Jetzt sind die, die für die Freiheit ihres Landes kämpfen Terroristen. Das kennen wir aus Palästina. Die Welt heuchelt immer mehr und wir sind nicht mehr in der Lage, die Lügen zu erkennen.
Bush wird nicht mehr lange da sein, was kommt dann?
Iran – ja, Iran muss es sein. Jetzt schon haben Amerikaner und Israelis Schaum vor ihren Mündern. Ja, Iran wird es sein und man wird wieder etwas konstruieren, damit das blöde Volk nicht merkt, wie man es mit Lügen hintergeht, nur um einen „gerechten“ Krieg führen zu können, einen neuen Krieg, der die Menschheit vor den Rand des Unterganges bringen wird.
Iran, ja, Iran wird es sein, früher oder später.
Vertraut den USA.

Veröffentlicht in Belletristik, Krieg, Michael Grandt - Kurzgeschichten und verschlagwortet mit , , .